Um acht ist die Nacht vorbei. Lech und seine Frau schlagen sich zuerst ins Bad, ich folge zehn Minuten später zum Frühstück. Es gibt viel Obst, gehacktes Ei mit Mayonnaise (brrrr), Brot, Marmelade und einen sehr leckeren Saft. Die Beiden beteiligen sich großzügiger als von mir gewollt an den Ausgaben – im Gegenzug leite ich ihre Fragen auf Spanisch zu unserer Casa-Mutter Gisella weiter. Gegen neun verabschieden wir uns und verlassen alle das Haus. Ich ziehe Richtung Parque Central los, um von dort aus die Stadt zu erkunden. Havanna ist noch nicht wach, ich setze mich auf eine Bank und nutze die Zeit, um erstmal in meinen Reiseführern zu lesen.
Langsam kommt Leben in die Stadt. Eskortiert von der Polizei rennt eine bunte Menge die Straße hinunter – wohl die bunteste, die ich bei einem Lauf je gesehen habe. Mit Sportbekleidung und ohne, Kinder, Alte, sogar ein Mann mit einem Bein ist dabei. Das Spektakel dauert 20 Minuten und ich wende mich wieder der Planung zu.
Es gibt definitiv viel zu entdecken und ich beschließe, den Hop-On-Hop-Off-Bus zu nehmen, um mir einen Überblick über die Stadt zu verschaffen. Ich gehe auf’s Oberdeck. Breiter Nürnberger Dialekt von der Rückbank. Ich lerne Edwin und seinen Kumpel kennen. Die beiden Mittfünfzger waren schon öfter auf Kuba und ich hole mir viele gute Hinweise für meinen Trip ab. Schließlich bin ich völlig unvorbereitet auf diese Reise gegangen und kann guten Rat mehr als gebrauchen. Beide scheinen ausgezeichnete Fotografen zu sein und ich bekomme während der nächsten 150 Minuten noch viele nützliche Informationen. So bekomme ich von Edwin dankbarerweise den Hinweis, im Bus nicht aufzustehen, da einen die tiefhängenden Oberleitungen sonst strangulieren können. Sympathisch, sympathisch. Sie beschließen, etwas früher auszusteigen und zum zweiten Mal an diesem Tag, wünsche ich zwei neuen Bekannten eine gute Reise.
Schon an der nächsten Station steigt Caro zu. Sie fragt nach dem Sitz neben mir. Ich erkenne ihren deutschen Akzent und wir kommen locker ins Gespräch. Sie ist schon seit zwei Tagen in Havanna und wird sich heute Abend ihrer Reisegruppe anschließen. Der Bus bewegt sich Richtung Endstation und wir befinden beide, dass es mehr Spaß macht, den Nachmittag gemeinsam zu nutzen, um die Stadt zu erkunden. Caro erinnert sich an eine Kirche, die sie gestern gesehen hat, von der sie aber keine Bilder machen konnte. Leichtsinnig willige ich ein, dort noch einmal hinzugehen.
Was nun folgt ist eine – positiv – irrsinnige Odyssee, bei der ich zwischenzeitlich an Caros Erinnerungsvermögen zweifele. Wir finden tatsächlich viele tolle Dinge – nur nicht diese Kirche. Ein Kaufhaus, das so verwinkelt und stickig ist, dass es mich an meine Zeit in Indien erinnert, viele pittoreske Gässchen mit architektonischen Eigenheiten und einen chinesischen Torbogen, der Glaube machen möchte, dass mitten in Havanna ein Chinatown-Ableger existiere. Dabei unterhalten wir uns wirklich gut. Die Wellenlänge stimmt. Irgendwann finden wir tatsächlich die Kirche. Sie ist leider geschlossen. Dafür ist der Platz davor absolut malerisch. Ein kurzes Panorama und wir gehen weiter zum Inglaterra, ein Hotel am Parque Central, auf dessen Dach eine kleine Bar existiert, von der man einen guten Ausblick über den Parque Central hinaus hat. Zeit für die ersten Mojitos des Urlaubs –arriba, abajo, al centro, adentro!
Wir beschließen, die Bustour noch einmal zu machen, da ich beim ersten Mal manche Bilder nicht schnell genug machen konnte. Gegen Abend verabschieden wir uns und – guess what – wünschen uns eine gute Reise.
Zeit, vor dem Essen noch einen weiteren Abstecker nach Viejo Habana zu machen. In der Calle Obispo merkt man bereits, wie sehr es bereits in die Kommerzialisierung der Stadt geht – eine Touristenstraße, von der man schnellstmöglich wieder weg möchte. Ich brauche allerdings erstmal eine Bank, weil ich meine Kreditkarte testen möchte. Selbstverständlich funktioniert sie nicht, Visas Anti-Fraud-System hat wieder knallhart zugeschlagen. Eigentlich auch gut so. Ich rufe bei der DKB an und lasse die Karte entsperren.
Mittlerweile hat es angefangen zu regnen. Ich verabschiede mich von dem alten Kubaner, mit dem ich unter einem Baum ausgeharrt und mich unterhalten hatte und bahne mir einen Weg an den Hauswänden entlang. Ich höre in den Seitenstraßen auf Musik – immer den Ohren nach finde ich irgendwann eine kleine Bar & Restaurant. Es ist ziemlich voll und ich setze mich an den letzten Tisch dazu. Zufall hin oder her: Gisela und Wolf sind der dritte Kontakt mit Deutschen an diesem Tag. Beide betreiben eine Arztpraxis im Schwarzwald und sind schon eine Woche in Havanna. Wir bestellen Drinks gegen den Regen und drei Mal Fisch.
Wolf ist Allgemeinmediziner und Homöopath. Ich frage frei heraus nach Globuli und Schüssler-Salzen (nicht jeden Aspekt der Homöopathie finde ich unterstützenswert). Wolf erklärt mir, dass er Erstere einsetzt und von Letzteren nicht viel hält. Er bringt den interessanten Vergleich, dass es bei Tieren und Babys gleich ist – hier spielen emotionale Aspekte der Therapie keine Rolle. Und solange es hilft, ist es in Ordnung. Ich beschließe, zurück in Deutschland nochmal über das Thema nachzulesen.
Die Beiden sind sehr nett und wieder decke ich mich mit Hinweisen für die nächsten Tage ein. Außerdem erfahre ich, dass Wolf eigentlich aus Berlin und Gisela aus Duisburg kommt. Beide haben sich damals im Zug kennengelernt. Wie romantisch. Irgendwann kommt das Gespräch auf Heuschnupfen und ehe ich’s mich versehe, liegen 3 Phiolen auf dem Tisch. Der Rest läuft ab, wie bei einem Drogendeal. Gisela faltet diskret ein Tütchen und Minuten später habe ich kleine Kügelchen in meinem Brillenetui. Die kommen in Deutschland gleich mal auf den Prüfstand! Nach dem Essen wünschen wir uns gegenseitig… naja – ihr wisst schon.
Ich laufe zurück ins Casa um mich für den Abend fertig zu machen. Die Straßen sind noch nass und im Abendlicht sieht alles noch einmal viel verwegener aus.
Zu Hause angekommen, frage ich Gisella nach Möglichkeiten, entspannt ein wenig Musik und Salsa zu hören. Sie rät mir zum Malecon – der Uferstraße Havannas. Unsere Kommunikation ist hervorragend. Sie hat einen dicken kubanischen Dialekt. Manche Sätze muss ich mehrfach hören oder mir gar aufschreiben lassen, weil ich sie unter Auslassung mehrerer Buchstaben einfach nicht verstehe. Ich mache mich fix frisch und behandle meinen krebsroten Sonnenbrand.
Gisella hat nicht untertrieben. Die Polizei hat den Großteil des Malecon tatsächlich gesperrt. Während die Wellen gegen die Kaimauer schlagen, spielt auf einer Bühne Emilio Frias sein Live-Konzert. Mehrere Tausend Leute sind dort und das Tanzen ist nahezu ekstatisch. Ich bekomme Rum angeboten und versuche hinreichend dazu zu passen (nicht leicht, da fast keine Touristen anwesend).
Gegen 12 ist der Spaß vorbei. Die Menge zieht mit Lautsprecherboxen tanzend den Malecon zurück Richtung Innenstadt. Den letzten Teil des Weges laufe ich durch dunkle Gassen und denke: Ich bin angekommen.